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Mehr als eine Reise

Wenn Träume sich erfüllen… ist die Welt weit und groß und schön. Unermesslich dieses Gefühl, diese Größe der Möglichkeit in den Dingen, wenn sich alle Zahnräder von Zeit und Raum ineinander fügen und den Mechanismus auslösen, der alles in Bewegung setzt.

Meine Güte, welch unbeschreiblich schönes Gefühl! Wie dankbar ich bin für alle Wege, die mich hierher führten… und wie schwer sie manches Mal sind, wie undurchdringlich manchmal diese Türen scheinen, wie unüberwindbar manche Mauern sich türmen und den Blick in die Weite zum Ziel nicht nur trüben, sondern tatsächlich verhindern. Wie viel Kraft darin steckt, wenn man tief in sich fühlt „da ist ein Weg“. Diese Kraft trägt immer weiter, auch wenn der Mut nachlässt und alle zweifeln oder milde lächeln über dich, dich Träumer. Es sind nicht alle. Das scheint nur so. Das ist das Gegnerische, das Illusionen baut, um dich an deinem Weg zu hindern.

Aber wenn es dein Weg ist, wenn es dein Herz von innen leuchten lässt und deine Augen strahlen, wenn es dich zu Tränen rührt, ob aus Sehnsucht oder Glück, dann weißt du „da ist mein Weg“.

Da ist er, der Weg der dich jetzt weiter führt. Es ist nicht das Ende, das ist kein Ziel, es ist eine Etappe. Das Ziel ist vermutlich noch woanders. Aber hier… ein Weg, mein Weg.

Und nun… wird er wahr. – Vielleicht ist genau jetzt der Moment, in dem ich es tatsächlich begreife? Seit Wochen ist es in Vorbereitung, seitdem „weiß“ mein Kopf es. Nun wurden daraus Tatsachen durch Unterschriften.

Und jetzt – mit einem Glas Wein auf meinem Balkon bei nächtlichen 25 Grad Wärme in Berlin mit Blick über eine ruhig dahin schimmernde Stadt, die heute sehr viel stiller ist als sonst – nun in dieser äußeren, aber innerlich größeren Stille beginnt mein Herz zu begreifen. Und die Tränen sind da. Einfach so. Sie öffnen Kopf, Körper, Herz und Sinne für das Begreifen von etwas, das mehr als eine Reise ist. Sie öffnen nach Wochen der Hingabe und Verausgabung an Arbeit, an Meetings, an Konventionen… sie öffnen für das tiefe Begreifen von

„das ist mehr als eine Reise“.

Ich begreife jetzt, in diesem Augenblick, ich bin vielleicht zum allerersten Mal in meinem Leben nicht auf einer „Flucht“, ich bin auf einem ganz echten Weg. Und was das so groß für mich macht, ist die Tatsache, dass ich es schon so viele Jahre gespürt habe. Und – meine Güte – wie unfassbare viele Wege bin ich gegangen, habe gearbeitet und geglaubt, mich hingegeben und gekämpft, mich verausgabt und war strebsam, den Dingen zu gefallen… bis ich nun doch endlich mich tragen lasse, mich wahrhaft hingebe den Dingen, dem Lauf, den Möglichkeiten ohne eine Erwartung, Hoffnung… ohne ein Programm.

Zum ersten Mal in meinem Leben möchte ich eigentlich gar nicht weg. Fühle mich zuhause und froh in meinem Leben. Mit einigen Dingen, die ich zur Änderung bewegen möchte, ja. Aber ich gehe nicht auf Reisen, auf Entdeckungs-Abenteuer, um etwas hinter mir zu lassen, weil es woanders aufregender oder besser ist, wo etwas verheißungsvoll glitzert. Nein, vermutlich zum ersten Mal gehe ich – für länger, für mich – und weiß, ich werde zurück kommen hierher. Und danach wird es anders sein. Auf dieser Reise, die mehr ist als eine Reise, werden neue Fragen aufgehen, alte beantwortet, noch neuere dazu kommen. Emotionen werden schütteln, bewegen in alle Richtungen und ich werde nochmal neu.

Das ist keine Erwartung. Das fühlt sich an, wie eine Tatsache. Wie die Unleugbarkeit der Tatsache, dass Newtons Apfel nach unten fällt.

So sitze ich hier auf meinem Balkon. Fühle mich wohl in meinem Zuhause Berlin. Weiß gleichermaßen, dass Berlin und ich immer verbunden sein werden. Meine Heimatstadt. Mindestens so viele Ecken, Kanten und Ambivalenzen wie ich. Ein Augenzwinkern. Aber ist was Wahres dran. Mir geht’s hier gut. Keine Frage. Und dennoch ist das Gefühl da

„irgendwie brauchen wir Zwei mal ne Pause“

– mein Berlin und ich. Vielleicht habe ich verlernt, diese Stadt mit den Augen der Begeisterung zu sehen, mit der ich Venedig in mein Herz aufsog? Bin ich einfach schon zu lange hier, um zu erkennen, was Berlin ist? – Ich weiß es nicht. – Ich weiß, so viel hat sich verändert. Und ich mag kein Nörgelnder werden, ich mag Veränderung. Und Berlin war immer schon Veränderung. Deshalb passten wir Zwei richtig gut zusammen. Und dennoch brauch ich momentan was anderes. Es zieht an mir der Süden. Es ruft die Hitze der Tage und die Frische des Meeres nach mir wie nie zuvor. In mir wird immer mehr klar, Berlin und ich gehören zusammen wie Geschwister, aber deshalb muss man sich ja nicht bis zum Lebensende eine WG mit seiner Schwester teilen… man kann sich auch besuchen. Irgendwann muss man erwachsen werden.
Berlin — und ich. Oder wir müssen wieder Kinder werden — Berlin — und ich.
Das weiß ich noch nicht so genau. Aber derzeit sind wir grad ein bisserl fertig miteinander. Nichtmal böse miteinander… viel schlimmer, etwas gelangweilt.
Wenn man sich so gut kennt, dass man weiß, wann der nächste ungleiche Atemzug geschieht. Wie eine lieblose Ehe sind wir derzeit.

Mein Herz hat sich mit Liebe gefüllt, wann immer es in italienische Gefilde einreiste. Schon immer. Warum, weiß ich nicht. Aber dieses Gefühl, …nach Venedig zu reisen… zum ersten Mal in meinem Leben… und plötzlich warfen Kopf und Herz gleichermaßen Fluten von Sätzen aus wie

„endlich Zuhause!“ und „endlich wieder da!“

… ich hielt inne… und staunte über diesen Gedanken und fragte mich

„Hä?!“

Fast verzweifelt habe ich versucht, mich zu verlaufen. Aber es wollte einfach nicht gelingen. Wie einem inneren Stadtplan folgend, wusste ich, …’da links abbiegen und du gehst in eine Sackgasse, in einen Innenhof.‘ Und ich wollte den Gedanken Lügen strafen, bog links ab und… stand in einem Innenhof. Ende. Sackgasse. Betrachtete mich, den Hof, den schönen Balkon mit den vielen Blumentöpfen, die wehenden Gardinen im Nachbarfenster und wusste nicht, was ich damit anfangen sollte. Wo ich doch nie hier war… wieso kann ich mich dann nicht verlaufen? Alle, wirklich alle, die in Venedig waren berichten davon, sich hoffnungslos zu verfranzen in den schmalen Calle, zu stranden am Ende einer Gasse, die nach einem leichten Knick um 80 Grad plötzlich an drei Stufen in den nächsten kleinen Kanal endet. Wann immer ich diese Gassen ging, folgte in mir etwas einem inneren Kompass, den ich nicht beschreiben kann und nicht bezeichnen. Später nach der Reise verfolgte ich meine Gänge auf dem Stadtplan und war erstaunt über meine Wege. Wie zielgerichtet sie liefen… obwohl ich doch gar nicht nachdachte, wohin ich ging, sondern einfach nur staunend flanierte und mich scheinbar treiben ließ.

Was ist das mit diesem Italien? Was mit diesem unglaublichen Venedig? Was ist das mit dem Süden und dem Meer? Ich werde reisen. Ob ich heraus finden werde? Wohin werden meine Wege nach dieser Reise führen?
Zu weit gedacht. Wenn ich mich schon in Venedig nicht verlaufen kann, wieso sollte ich mir Gedanken machen. Es wird mich tragen.

Heute Abend – auf meinem Balkon – mit Blick über Berlin, wie es da hinten so glitzert mit Funkturm und Fernsehturm und all dem Flitter, spüre ich ein Wohlgefühl. Und dennoch sind wir erstmal etwas „durch“ miteinander… wir lassen uns in Frieden gehen. Und ich weiß, heute in 3 Wochen werde ich auf einer Terrazza in Cannaregio stehen um diese Zeit. Ich werde den ersten Tag in Venedig verbracht haben. Vermutlich wird überall in der Wohnung mein Gepäck verstreut sein. Ich kenn mich, wenn ich irgendwo ankomme, sieht man es. Innerhalb von fünf Minuten kann man sehen, dass Holly in einem Hotelzimmer angekommen ist!
In Venedig wird es so oder ähnlich laufen… denn, hey, wer hat denn schon Zeit zum Auspacken, wenn da draußen die Serenissima, die Durchlauchteste, mit ihren Verheißungen ihre Aufwartung macht?!

Einziehen heißt… alles entdecken, die Fenster öffnen, Musik anmachen, auf den Balkon treten, terracottafarbenes Häusermeer betrachten, Koffer auf, duschen, ein leichtes Kleid überwerfen, wo sind die offenen Schuhe (?), die Tasche ausleeren, etwas Moschino aufsprühen und ab nach draußen, hinein in mein neues Leben der nächsten Wochen! Mein Zuhause auf Zeit staunend erobern und mich hingeben dem Rhythmus und der Mentalität eines anderen Landes, des Klimas und einer Stadt, wie es sie sonst nirgends gibt. Mich aufsaugen lassen und verbinden mit ihr.

Vermutlich werde ich mich durch die italienischen Strukturen der örtlichen Verkehrsbetriebe knabbern mit viel Lächeln (und einem tiefen Ausschnitt), um mein Vaporetto Ticket für die kommenden Wochen zu erstehen. Wer glaubt, Italien sei überall Strand und Dolce Vita, der hat noch nie dortige Behörden erlebt! Das ist der Moment, in dem man sich manches Mal doch ein wenig nach Hause wünscht… die da können „Behörde“ noch besser als wir hier! Glaubt keiner, bis er es zum ersten Mal erlebt hat! Glaubst Du nicht, werter Leser? Komm mich besuchen!

Und ich werde Markt und Gemüseboot unsicher machen. Und voller Glück über alles, was ich von Herzen liebe, dort zu finden, vermutlich viel zu viel einkaufen und abends kochen und schwelgen… oder vielleicht in meiner Lieblings-Rosticceria eine Lasagne mit Meeresfrüchten genießen… und irgendwann nach Hause schweben im Taumel dessen, was da alles um mich herum ist… und in ein fremdes Bett fallen in einer Stadt, die zwar neu ist, aber seltsamerweise gar nicht fremd.

 

Aufwachen, mein erster Tag… was erleben dort? Keine Ahnung, ich werde es erleben. Und abends… in 3 Wochen von hier an… werde ich auf meiner Terrazza stehen in Cannaregio und einem anderen Sound einer Stadt lauschen, einen anderen Blick erleben… das Grün der endlosen Bäume Berlins tauschen gegen das endlose Terracotta in allen nur erdenklichen Tönungen gemischt mit dem Marmor von Jahrhunderten.

Ich verabrede mich heute Abend mit mir. Heute in 3 Wochen. Auf ein Glas Wein in Cannaregio nach meinem ersten ganzen Tag in Venedig.

Und ich werde an diesen Abend hier denken… mit einem Glas Wein… mit mir und meinen Gedanken… und dem innerlichen Begreifen, endlich dem Begreifen, „ich werde in Venedig sein“. Tatsächlich. Ein Traum wird wahr.

Mein Traum ist keiner mehr. Mein Traum ist jetzt Realität, gelebtes Leben, mein Leben. Jetzt. Es geht.
Man kann aus Träumen Dinge werden lassen. Gegen alle Widerstände, vor allem gegen die eigenen inneren. 

„If your dreams dont scare you, they are not big enough“

hat ein wunderbarer Mann zu mir gesagt vor Wochen… genau in dem Augenblick, als alles drohte zu verhaken, zu straucheln und gar nicht aussah, als würde es überhaupt gehen. Frustriert war ich, ängstlich. Und dann dieser Satz…. Und ich begriff, alles was da im Weg stand… war ich. „If your dreams dont scare you, they are not big enough“ – Danke! – Ein Weckruf.

Und nun… bin ich mit mir und einem Glas Wein verabredet… in 3 Wochen in Cannaregio. Ich denke, eins der besten Dates meines Lebens… bisher.

…mal schauen, welches Date danach kommt.

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